Materialien für medizinische Anwendungen

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18.01.2021

 

In der medizinischen Forschung werden kontinuierlich beeindruckende Fortschritte erzielt. Immer ausgefeiltere Behandlungsmethoden helfen dabei, weltweit das Leid vieler Menschen zu lindern oder zu beheben. Im Bereich der Medizintechnik werden hochkomplexe Geräte entwickelt und anspruchsvolle Systeme geschaffen, um bei der Behandlung verschiedener Krankheiten oder Verletzungen zu unterstützen.

Gummiformteile sind in der Medizintechnik von hoher Bedeutung. Sie kommen dort entweder als eigenständiges Medizinprodukt oder als Bestandteil medizinischer Geräte zum Einsatz. Da die Geräte immer fortschrittlicher werden, steigen auch die Ansprüche an die Gummiformteile und die verwendeten Materialien, die häufig extremen Temperaturen und aggressiven Chemikalien oder Medikamenten ausgesetzt sind.  

Gummiformteile in der Medizintechnik

Gummiformteile werden im Bereich der Medizintechnik in verschiedenen Anwendung eingesetzt. Ausführliche Beispiele und Erläuterungen hierzu finden sich in unserem Blogeintrag Gummiteile in der Medizintechnik. Aufgrund der Relevanz für diesen Eintrag möchten wir aber nochmal einige Beispiele nennen:

So gibt es einzelne Teile oder Baugruppen, mit denen der Mensch nicht direkt in Kontakt kommt, die aber dennoch eine kritische Rolle für dessen Wohlbefinden spielen. Membranen, Gummiventile, Dichtungen oder Schläuche sind Kernelemente von Pumpen, die in der Medizintechnik zum Beispiel in Krankenhäusern verwendet werden. So werden Membranpumpen zur Analyse von Gasen eingesetzt und kommen in medizinischen Autoklaven vor, die der Sterilisation und Entkeimung von Materialien und Gegenständen dienen. In anderen Pumpen sorgen Gummiteile dafür, dass Patienten durch die Verwendung von Luftbetten das Dekubitusrisiko (Wundliegen) verringern, Flüssigkeiten gefördert werden, Beatmungsgeräte kranke Menschen ausreichend mit Sauerstoff versorgen oder Zahnärzte Dentalwerkzeuge antreiben und Flüssigkeiten absaugen können. Auch werden Griffe von Operationsbesteck und chirurgischen Instrumenten aufgrund seiner hervorragenden medizinischen Eigenschaften häufig aus Silikon gefertigt.         

Dann gibt es Artikel, die in Geräten genutzt werden, mit denen der Mensch direkten Hautkontakt hat. Hier kann man wiederum differenzieren, ob diese Geräte mit dem Menschen kurzzeitig in Berührung kommen oder sie am Körper oder im Körper getragen werden.

Bei der Behandlung von Wunden werden beispielsweise Pflaster aus Silikon eingesetzt. Wunddistanzgitter sorgen dafür, dass Wundauflagen nicht mit der Wunde verkleben und ein schmerzfreier Verbandswechsel möglich ist. In Hörgeräten kommen Gummiteile in Form von Dichtungen, Mikrofonlagerungen oder Empfängeraufnahmen vor und helfen so, die Lebensqualität von Menschen mit Hörleiden zu erhöhen. Diabetes-Patienten wiederum haben die Möglichkeit, Insulinpumpen zu tragen und so laufend mit Insulin versorgt zu werden. Wie die Bauchspeicheldrüse gibt die Insulinpumpe Insulin an den Menschen ab und übernimmt so das Diabetesmanagement. Das regelmäßige Spritzen entfällt und der Blutzucker des Patienten kann stabil reguliert werden.

Als Implantate treten Gummiteile an verschiedenen Stellen im menschlichen Körper in Erscheinung. So spielt Silikon in der Orthopädie beim Einsatz künstlicher Gelenke eine Rolle. In der Urologie werden Blasenkatheter aus Silikon eingesetzt, die mit einem Silikonballon ausgestattet sind (sogenannte Ballonkatheter). Während über den Katheter selbst Urin aus der Harnblase abgeleitet wird, dient der Ballon dazu, den Katheter in der Harnröhre zu stabilisieren. Im Bereich der Behandlung von Epilepsien können Vagusnervstimulatoren implantiert werden, deren Außenhülle und Isolierung aus Silikon ist. Ähnliches gilt bei der tiefen Hirnstimulation, die zum Beispiel bei Parkinsonerkrankungen durchgeführt wird. Bekannt ist in diesem Zusammenhang der Begriff des Hirnschrittmachers. Auch bei Herzschrittmachern wird zur Isolation Silikon verwendet. Die Verankerung beziehungsweise Verbindung der Elektroden eines Herzschrittmachers mit dem Herzmuskel kann durch Silikonanker geschehen. Auch in Kunstherzen (Herzunterstützungssysteme, ventricular assist device) kommt Silikon zur Anwendung.

Auswahl des geeigneten Werkstoffs

Die Auswahl des geeigneten Gummi-Werkstoffs richtet sich vor allem nach der geplanten Anwendung. Hierbei sind dann verschiedene Kriterien zu berücksichtigen wie zum Beispiel:

·         Welcher Temperatur ist das Gummiformteil im Einsatz ausgesetzt?

·         Hat der Gummi-Werkstoff Kontakt mit aggressiven Chemikalien oder Medikamenten?

·         Hat der Gummi-Werkstoff potenziell direkten Kontakt mit dem Patienten?

·         Wird das Gummiformteil implantiert?

·         Liegt eine spezielle Reinigung oder Sterilisation vor?

·         Über welchen Zeitraum wird das Gummiformteil verwendet und beansprucht?

·         Welcher mechanischen Beanspruchung ist das Gummiformteil ausgesetzt?

Es gibt zahlreiche verschiedene Gummi-Materialien, die alle unterschiedliche Stärken und Schwächen besitzen (siehe Übersicht verschiedener Gummi-Materialien). Je nach Anwendung sind die verschiedenen Eigenschaften zu berücksichtigen und der geeignete Werkstoff auszuwählen.

Im Vergleich zu industriellen Anwendungen wird in der Medizintechnik öfter Biokompatibilität des verwendeten Werkstoffs gefordert. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das medizinische Gerät und insbesondere das eingesetzte Gummiteil in direktem Kontakt mit dem Patienten oder anderen den Menschen berührenden Substanzen wie Blut, Medikamenten oder medizinischen Flüssigkeiten stehen.

Biokompatibilität bedeutet, dass Werkstoffe, Baugruppen oder Produkte keinen negativen Einfluss auf den Menschen oder Lebewesen allgemein haben. Entsprechend dürfen Materialien, die in direktem oder indirektem Kontakt mit dem menschlichen Körper stehen, den Anwender nicht schädigen und müssen frei von gefährlichen Stoffen und Nebenwirkungen sein.

Häufig verwendete Elastomere

Unter Berücksichtigung verschiedener Kriterien bei der Materialauswahl haben sich im Medizinbereich einige Elastomer-Typen herauskristallisiert, die häufiger verwendet werden als andere:

 

Silikon (HTV) / Flüssigsilikon (LSR)

Im Bereich medizinischer Anwendungen ist häufig die Biokompatibilität des Materials ein wichtiges Erfordernis. Wenn Biokompatibilität gefordert wird, wird im Elastomer-Bereich oft auf Silikon-Mischungen zurückgegriffen.

Ein wichtiger Vorteil von Silikon ist nämlich, dass es biokompatibel ist und somit eine gute Verträglichkeit für den Menschen aufweist. Die Biokompatibilität einer Silikonmischung wird häufig durch USP Class VI-Einstufungen nachgewiesen (USP steht dabei für United States Pharmacopeia) oder durch Tests gemäß der strengeren (DIN EN) ISO 10993 Richtlinie. Die (DIN EN) ISO 10993 dient dabei vor allen Dingen dem Testen von Medizinprodukten, die für lange Zeit oder permanent im menschlichen Körper implantiert werden. Für kürzere Anwendungen ist die Einstufung nach USP Class VI oder gegebenenfalls eine niedrigere Einstufung ausreichend. Für viele Mischungen bekannter Hersteller liegen entsprechende Nachweise vor. Mehr Informationen zur Biokompatibilität von Materialien finden Sie hier.

Darüber hinaus bietet Silikon aufgrund seiner Eigenschaft, in einem weiten Temperaturbereich von etwa -80 °C bis ca. 250 °C eingesetzt werden zu können, die Möglichkeit zur Dampfsterilisation (Erhitzen im Autoklaven). Produkte aus Silikon können so von lebenden Mikroorganismen, deren Dauerformen und Viren etc. befreit werden. 

Auch die guten elektrischen Isolationsfähigkeiten von Silikon sind im medizinischen Bereich von besonderer Bedeutung.

Dank seiner hohen Stabilität innerhalb des menschlichen Körpers stellt Silikon somit einen sehr guten Schutz kritischer Komponenten dar und wird aufgrund der genannten Eigenschaften zudem bevorzugt für funktionale Teile eingesetzt.

Silikon wird als bevorzugter Werkstoff in der Medizintechnik verwendet. Neben Artikeln für medizinische Geräte (Dichtungen, Membranen, Lagerungen) werden Komponenten aus Silikon auch als Kurz- (für weniger als 30 Tage in Medizinprodukten der Klasse IIa) oder Langzeitimplantate (für 30 Tage oder mehr in Medizinprodukten der Klasse IIb verwendet) eingesetzt und erfüllen dort kritische Funktionen in Geräten wie Herzkathetern, Herzschrittmachern, Beatmungsgeräten, Neurostimulatoren oder Defibrillatoren.

Als HTV (high temperature vulcanizing) oder HCR (high consistency rubber) bezeichnet man Silikonkautschuke, deren Rohmaterial fest ist. Sie werden bei hohen Temperaturen üblicherweise zwischen 140 °C und 200 °C vulkanisiert. Die Vernetzung erfolgt entweder durch Peroxide oder durch Additionsreaktion, wobei Platinverbindungen als Katalysator eingesetzt werden. 

Flüssigsilikon oder LSR (Liquid Silikon Rubber) ist als Rohmaterial (zäh-)flüssig und besteht aus zwei Komponenten, die direkt vor der Verarbeitung gemischt werden. Die Vernetzung erfolgt durch Additionsreaktion bei ähnlichen Temperaturen wie bei den HTV-Typen, wobei die Vernetzung generell wesentlich schneller erfolgt. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Reinheit von LSR-Materialen für den Verarbeiter einfacher zu gewährleisten ist als bei HTV-Mischungen.

Beide Silikon-Typen können eingefärbt werden.

Fertige Elastomer-Artikel aus HTV-Silikon und LSR-Silikon unterscheiden sich in ihren Eigenschaften kaum. Silikon ist beispielsweise gegenüber verschiedenen Flüssigkeiten wie Wasser, (Isopropyl-)Alkohol und manchen Säuren beständig. Es zeichnet sich zudem durch seine exzellente Temperaturbeständigkeit in einem sehr weiten Temperaturbereich aus. Silikon kann in einem Temperaturbereich von -80 °C bis ca. 250 °C eingesetzt werden, ohne dabei viel von seinen ursprünglichen mechanischen Eigenschaften einzubüßen.

 

EPDM

EPDM ist für seine hervorragende Witterungs-, Wasser-, und Alterungsbeständigkeit bekannt, die für den medizinischen Bereich keine große Bedeutung besitzen. Aufgrund seines insgesamt breiten Eigenschaftsbilds hinsichtlich seiner mechanischen Eigenschaften als auch seiner Medienbeständigkeit wird EPDM aber recht häufig in der Medizintechnik eingesetzt und kommt vielfach in medizinischen Geräten vor.

Hierfür können in dem Fall auch Mischungen erstellt werden, die mit den Anforderungen der FDA konform sind (mehr zu FDA-konformen Gummi-Mischungen finden Sie hier).

EPDM gilt als sehr langlebiger und widerstandsfähiger Werkstoff. Gummiteile aus EPDM werden daher zum Beispiel in Form von Dichtungen, O-Ringen, Membranen oder Ventilen in Beatmungsgeräten, Dosiersystemen, Pumpen, Geräten zur Medikamentenverabreichung und Flüssigkeitstransfersystemen wie Infusionssystemen eingesetzt.

EPDM ist beständig gegen verschiedene aggressive Chemikalien und daher gut für den Einsatz in der medizinischen Industrie geeignet. EPDM besitzt eine sehr gute Beständigkeit gegenüber polaren Chemikalien wie Wasser, Abwasser, Laugen, Alkohol und Glykolen. Auch Wasserdampf, alkalische Reinigungsmittel, Säuren und diverse organische wie anorganische Basen stellen für EPDM ebenfalls kein Problem dar.

Für mechanische Belastungen ist EPDM ein guter Allround-Werkstoff. Die Reiß- bzw. Zugfestigkeit, der Weiterreißwiderstand als auch die Reißdehnung sind durchschnittlich bis gut.

Spielt wie bei Dichtungen der Druckverformungsrest eine große Rolle, können EPDM-Mischungen mit sehr niedrigem Druckverformungsrest verwendet werden.

Artikel aus EPDM können in der Regel bei Temperaturen zwischen -40 °C und 130 °C eingesetzt werden. Für kurze Zeit ist auch ein Einsatz bis 170 °C möglich.  

 

Fluorkautschuk (FKM)

Manche medizinische Anwendungen erfordern von den eingesetzten Materialien besondere Eigenschaften hinsichtlich ihrer Medienresistenz, da sie beispielsweise mit sehr aggressiven Chemikalien in Kontakt kommen. In solchen Fällen wird als Elastomer-Werkstoff gerne auf FKM zurückgegriffen, das sich durch seine ausgezeichnete Beständigkeit gegenüber einer Vielzahl aggressiver Medien sowie seinem hervorragenden Verhalten bei hohen Temperaturen auszeichnet. Fluorkautschuk ist vielen unter dem Markennamen Viton geläufig, unter dem das US-amerikanische Chemieunternehmen DuPont (mittlerweile DuPont de Nemours) FKM vertreibt. 

Kommen in einer medizinischen Anwendung aggressive Stoffe zum Einsatz, kommen Elastomere wie Silikon oder EPDM in vielen Fällen nicht in Frage. Fluorkautschuk (FKM) ist gegenüber vielen Medien wie beispielsweise diversen Ölen und Fetten, Säuren, Glukose, Sauerstoff und Kohlendioxid beständig. Gerade wenn die Funktionalität eines Bauteils wie zum Beispiel einer Dichtung kritisch für das gesamte Gerät ist und ein Ausfall ernste Konsequenzen bedeuten würde, bietet FKM hier im Vergleich zu anderen Gummi-Materialien Vorteile.  

Hinzu kommt, dass Gummiteile aus FKM sehr hitzebeständig sind. Sie können dauerhaft ohne weiteres bei Temperaturen bis 220°C eingesetzt werden. Kurzzeitig (bis zu 70 Stunden) sind oft auch höhere Temperaturen bis 300°C möglich. Diese Eigenschaft ist in manchen medizinischen Bereichen von enormer Bedeutung.

Auch hinsichtlich seiner mechanischen Eigenschaften ist FKM ein sehr solider und insbesondere beanspruchbarer Werkstoff. Erwähnenswert ist dabei vor allem sein exzellenter Druckverformungsrest. Selbst unter Einfluss enormer Hitze behalten FKM-Dichtungen oder FKM-O-Ringe ihre Widerstandskraft und Dichtwirkung bei.

Neben FKM-Mischungen, die FDA-konform und durchaus üblich sind, gibt es auch Mischungen, die den Anforderungen der USP Class VI entsprechen.

 

Wenn Sie noch Fragen zu diesem Blogpost haben oder möchten, dass demnächst ein bestimmtes Themengebiet rund um Elastomere behandelt wird, melden Sie sich gerne bei uns per E-Mail unter info@hepako.de oder nehmen Sie gerne jederzeit hier Kontakt zu uns auf.       

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